Dr. Doof und der Gehirnausstieg
Sir Psycho und die Kunst des stilvollen Ärgerns, Teil zwei
Ich war gerade nach Berlin gezogen, als ich einen Typen kennenlernte, der im Begriff war, eine außergewöhnliche Leistung zu vollbringen: mit einem Holzkopf ein Medizinstudium zu absolvieren. Wir trafen uns am Vorabend des 1. Mai. Das ist in Berlin traditionell der Tag, an dem Hunderte Vermummter „Schwarzer Mann“ spielen, allerdings mit umgekehrten Regeln. Sie selbst sind es, die in Schwarz gekleidet sind und davon laufen, sobald die Polizei anrückt. Vorher haben sie entweder Autos umgestoßen oder Schaufenster eingeschlagen oder Flaschen geworfen. Der angehende Mediziner war einer von ihnen. Mit einem Strahlen im Gesicht erzählte er mir, wie sehr er sich auf den nächsten Tag freue. Als ich ihn fragte, warum er sich an solchen Randalen beteilige, er sei doch ein intelligenter Kerl, antwortete er, man müsse dem Staat zeigen, dass man sich nicht alles gefallen lasse. Als ich ihn darauf hinwies, dass es genau der Staat sei, der ihm sein Medizinstudium finanziere, mit dem er sich später wahrscheinlich ein Haus, einen Kombi und jährlich einen Golfurlaub würde leisten können, grinste er und sagte: „Widerstand ist alternativlos.“ Ach, wie gern wäre ich auch ein ordentlicher Linker, dachte ich mir damals. Dann könnte ich, genau wie Dr. Doof, den größten Blödsinn zu einer politischen Haltung verklären. Doch langsam reicht es, würde ich sagen. Ich fordere den sofortigen Ausstieg aus dem Gehirnausstieg!
Am vergangenen Montag haben ein paar aufrechte Linke in Berlin einen Kabelbrand gelegt, damit den S-Bahn-Verkehr, Telefone und Internetverbindungen zerschossen und ein Verkehrschaos ausgelöst. Noch am Dienstag saßen Techniker in einer Grube, um die über tausend Einzelkabel wieder zusammenzuflicken. Im Internet tauchte bald ein Bekennerschreiben auf, verfasst von „Das Grollen des Eyjafjallajökull“. Es ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass bei Teilen der linken Szene der Gehirnausstieg offensichtlich längst vollzogen ist. Man habe sich am isländischen Vulkan ein Beispiel genommen, steht da, der vor einem Jahr das europäische Wirtschaftsleben bestreikt habe. „Deshalb haben wir heute einen Teil der Bahninfrastruktur am Ostkreuz, einem zentralen Verkehrsknotenpunkt der deutschen Hauptstadt, sabotiert: An einer Kabelbrücke haben wir die Schutzgitter unterhalb der Türen durchtrennt und Feuer gelegt, um damit etwa einhundert Signal-, Telekommunikations- und Stromkabel kurz zu schließen.“
Zur Begründung folgt der übliche Sermon, angereichert mit Tagesaktuellem: Waffenexporte, Atomenergie, Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen, Fukushima, Castor, Bullen, beschissener Alltag und und und. Wer sich bei der Lektüre irgendwann fragt, hm, wer trägt denn für all das nun bloß die Verantwortung?, muss nicht lange nach der Antwort suchen: „Alle haben Verantwortung für das, was geschieht. Alle haben die Möglichkeit, zu sagen: Stopp! Nicht mit uns. Wir bestreiken die quälende und mörderische Normalität. Es muss sich was ändern. Grundlegend.“ Aah. Hoffentlich haben sich das auch all die S-Bahnfahrer hinter die Löffel geschrieben, die am Montag morgen vergebens am Gleis gewartet haben. Das Schreiben endet mit dem Satz: „Wir gehen in Streik und sabotieren den zerstörerischen Trott.“ Der Text ist nichts anderes als eine unbeholfene, wenn auch überraschend tippfehlerfreie Rechtfertigung für blinde Zerstörungswut.
Man hätte diese Liste noch beliebig fortsetzen können: Niemand hat verhindert, dass Hertha BSC aufgestiegen ist! Der Regierungssprecher maßt sich an, Regierungspolitik auf 140-Zeichen-Botschaften zu verknappen!! Die Sonne scheint heute so erbarmungslos auf den Bildschirm, dass man kaum etwas lesen kann!!! In Wahrheit sind es ja nicht die Krisen dieser Welt, die die Kabelzündler dazu gebracht haben, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, sondern eine grundsätzliche Unzufriedenheit mit allem. Deshalb ist es völlig egal, wogegen man ist, solange man es sich nur nicht gefallen lässt. Und das Tolle an einem Leben ohne die lästige Pflicht zur Logik ist ja, dass, je größer der Unsinn ist, den man verkündet, der Handlungsdruck umso mehr zu- statt abnimmt.
Und so sitzen also nun wahrscheinlich irgendwo in Berlin ein paar Linksverrückte und freuen sich diebisch darüber, es dem Staat mal richtig gezeigt zu haben. Ganz bestimmt steht Angela Merkel ein paar Kilometer weiter an einem Fenster und fragt sich, warum sie schon so lange keine S-Bahn mehr gehört hat, die normalerweise unweit des Kanzerlamts vorbeifährt. Und wird sich, wenn ihre Büroleiterin ihr das Bekennerschreiben vorgelesen haben wird, was sie bislang nicht getan hat, weil sie die Chefin nicht mit der schrecklichen Wahrheit konfrontieren wollte, konsterniert an ihren Schreibtisch setzen und sagen: „Beate, so kann es nicht weitergehen. Wir müssen handeln.“ Und wahrscheinlich liest in einem Krankenhaus ein Arzt im weißen Kittel die Zeitung und denkt mit mildem Glanz in den Augen daran, wie er früher selbst im Widerstand aktiv war – und verabredet sich dann mit einem Kollegen zu einer Partie Golf.